Andere Seiten 3/2015

Montag, 5. Oktober 2015 um 20:18 Uhr; Kategorie Linking. Keine Kommentare.

Politik

Der letzte Europäer (Der Spiegel, 11. Juli): Als ich diese Andere-Seiten-Ausgabe vorbereitet habe, standen hier unter anderem ein wunderbarer Kommentar von Daniel Erk zu den Rechten Übergriffen auf Flüchtlingsheime (Im Land der Angsthasen, Zeit Online, 3. September), ein Tsipras-Porträt von Constantin Seibt (Der Raser, Tages-Anzeiger, 9. Juli) und ein Text darüber, was passieren würde, wenn die Troika nach Berlin käme (Spiegel Online, 19. August). Aber dann habe ich heute diese Reportage, die im Sommer im gedruckten Spiegel erschienen ist gelesen. Und diese Mischung aus Roadmovie, potentieller Aufstiegs-Story und ungläubigem Staunen, dass das alles in Europa passiert, hat mich schwer begeistert. Eine Kostprobe: „Talic findet es richtig, was die Deutschen machen, auch wenn er selbst alle ihre Regeln bricht […] Es ändere nichts daran, dass die Deutschen recht hätten, sagt Talic, im Prinzip. Aber er, Talic, müsse gegen ihre Gesetze verstoßen, damit sich das alles halbwegs lohne.“

Wirtschaft

Consider the Can (The Big Roundtable, 9. Juni 2014): Seit mittlerweile weit über zehn Jahren gibt es in Deutschland Dosenpfand. Und auch in mehreren US-amerikanischen Staaten gibt es das. Robert W. Fieseler beschreibt in seiner ausführlichen Reportage das mitunter komplexe, aber für alle Beteiligten (und eigentlich auch die Unbeteiligten) vorteilhafte System. Schließlich gehört recyceltes Aluminium zu den umfeldfreundlicheren Materialien: „According to Aluminum Association figures, 68 percent of the cans we hold today are made of recycled metal. As an elemental material, sitting on the third row of the periodic table, aluminum cannot decompose into smaller parts. Each can thus faces two paths in its lifespan: to continue on indefinitely in its present form or be reincarnated, regenerated brand new, like Dr. Who, at any period in its existence.“ (Und wohl nicht nur deshalb wird die Dose auch bei Craft-Beer-Brauern in den USA wieder beliebter.

Feuilleton

The Most Timeless Songs of All-Time (Polygraph, 21. August): Kein Scherz: No Diggity von Blackstreet gehört zu den zeitlosesten 90er-Songs, genau wie Oasis‘ Wonderwall oder Iris von den Goo Goo Dolls – allerdings weit entfernt von Smells Like Teen Spirit. Zumindest, wenn man von Spotify-Daten ausgeht. Die hat Matt Daniels ausgewertet und kommt dabei zu interessanten, aber plausiblen Ergebnissen – auch wenn in der Auswertung früherer Jahrzehnte die Beatles, die es auf Spotify nicht gibt, fehlen.

Gesellschaft

The Cold War (Epic Magazine, September): Eigentlich war Dennis Roeper Eisverkäufer geworden, um regelmäßig Kinder lachen zu sehen. Doch dann kam Efrain Escobar und der Kampf um das Kinderlachen von Salem, Oregon begann. Und obwohl Roeper dadurch, dass er mehrere Fahrer beschäftigt, im Vorteil ist, kommt irgendwann der Punkt, an dem auch er sich fragt, ob es noch ums Geschäft geht und ob es das alles wert ist: „Yet Dennis’ tactical success was a pyrrhic victory: one ice cream truck driver chasing another, alarming kids, and losing money in the process. What would happen when Efrain showed up again — another vehicular Gang Bang in front of children?“

Sport

Die absurde Regionalliga (11 Freunde, 27.9.): Die deutsche Regionalliga ist – zumindest seit der Einführung der eingleisigen dritten Liga – eine seltsame Veranstaltung. Da soll der Dorfverein auf einmal gegen Rot-Weiß Essen spielen und natürlich die passende Infrastruktur bereitstellen. Und dann ist die Chance, durch das Nadelöhr in den Profibereich zu kommen, auch noch so klein wie wohl nirgendwo sonst in Europa. Kein Wunder, dass manches Team freiwillig auf den Aufstieg verzichtet, denn: „Es ist eine schöne Liga. Du darfst nur nicht drin bleiben.“ (Toll vor allem wegen der Fotos ist die Campingplatz-Reportage „Alles Eins„, ursprünglich erschienen im 11Freunde Bundesliga-Sonderheft.)

Technik

What is Code (Bloomberg BusinessWeek, 11. Juni): Aufwendig designt (auch wenn es bei mir auf dem Tablet aus irgendeinem Grund nicht fehlerfrei lief), noch aufwendiger geschrieben, und ebenso aufwendig – aber absolut lesenswert – zu lesen: Paul Ford hat für die Business Week in 38.000 Worten aufgeschrieben, was man über das Programmieren wissen muss. Er fängt ganz vorne an („How to type an A“) und kommt dann irgendwann dort an, wo auch ich nicht alles verstehe. Denn: „If coders don’t run the world, they run the things that run the world.“


Wie man (vielleicht) Musik verkauft

Donnerstag, 24. September 2015 um 21:43 Uhr; Kategorie Linking und Thinking. Keine Kommentare.

simon_indelicate

Musik ist wertlos – das ist die These von The-Indelicates-Sänger Simon Indelicate1 in seinem doch recht langen, aber absolut lesenswerten Text „Why Your Music Is Worthless (And How To Sell It Anyway))„. Nach ein paar Beleidigungen und Beschimpfungen gegenüber dem Leser, anderen Bands und Musikjournalisten, erklärt er, was er meint. So sei Musik, die bereits existiert, wertlos, weil sie eben da sei. Das hat mit Angebot und Nachfrage, Fix- und variablen Kosten zu tun, und klingt für mich als nicht-BWLer relativ plausibel (wenn auch vermutlich nicht 100%ig wissenschaftlich korrekt). Doch einen Weg gibt es, trotzdem Musik zu verkaufen:

People value music that they are personally connected to and such music is scarce – therefore it is not worthless.

Das kann, so Simon, unter anderem durch Crowdfunding passieren.2

Wo das Plattenverkaufen aber manchmal eben auch funktioniert, dürften die Konzerte sein. Ich weiß zwar nicht, wie viel die Bands an einem Konzertabend verkaufen, den Schlangen am Merch-Stand bei so manchem Konzert (und den Aussagen diverser Bands am Ende ihrer Tour) nach zu urteilen, dürfte die Zahl zum Teil nicht unerheblich sein.

Allerdings funktioniert eine Sache nicht: Im Herbst ein Konzert spielen und dabei die Leute heißmachen auf ein Album, das erst im Frühjahr erscheint.3 Denn wenn die Leute das Album wirklich gut finden, dann wollen sie es haben. Und zwar sofort. Dirk von Gehlen hat das in einem minimal anderen Kontext vor ein paar Monaten auch schon einmal aufgeschrieben.

Denn insbesondere wenn man eine relativ unbekannte Band ist, weiß im Februar keiner. der im September auf dem Konzert war, mehr, dass das neue Album rauskommt. Ich habe von der Vorband auf dem Konzert, auf dem ich gestern war, heute schon den Namen ergooglen müssen, weil ich noch einmal reinhören wollte. Würde ich es hier jetzt nicht niederschreiben, wüsste ich vermutlich in ein paar Monaten nicht mehr, dass Folly and the Hunter in ein paar Monaten ein neues Album veröffentlichen – obwohl mir die Musik eigentlich ziemlich gut gefallen hat.4

Worauf ich hinaus will: Wieso gab es zum Beispiel nicht die Möglichkeit, das Album vorzubestellen – oder gleich Crowd-zu-funden5? Denn nicht jeder schreibt ein Blog. Die mögliche Folge beschreibt Dirk von Gehlen:

Ich bin interessiert, ich mag das Produkt, ich würde es kaufen. Was mehr kann man verlangen? Was mehr kann bis zum 22. August passieren als das: Ich werde das vermutlich tolle Album vergessen.

Noch ein Hinweis zu Simon Indelicates Text. Der liefert die vermutlich beste Beschreibung und Erklärung, warum Crowdfunding funktioniert:

 You remember that your fixed costs were what it cost you to make the first one of something and the marginal costs were what it cost to make the second? And that it was an unbreakable rule that no one cared about your fixed costs?

Crowdfunding works because it breaks that rule.

Because you are not selling a product but the opportunity to live in a world where that product exists – you have performed the impossible feat of moving all of your fixed costs into the marginal costs column.

Suddenly, the cost of the second item is the same as the first, because if you don’t sell both, then neither will be made.

Der Text ist also vermutlich nicht nur für ambitionierte Musiker, sondern auch für alle anderen Medien- und Kulturschaffenden interessant.


  1. Den ich für die Rückseite auch schon über die Monarchie ausgefragt habe 

  2. Darüber habe ich mit ihm und seiner Bandkollegin Julia schon vor Jahren mal für Indiestreber gesprochen

  3. Also es funktioniert schon. Nur die CD verkauft man so vermutlich nicht. 

  4. Ich werde mir das Album vermutlich trotzdem nicht kaufen, weil die Musik auf Platte nicht so gut funktioniert wie live. Aber das ist ein anderes Thema. 

  5. Gibt es dieses Verb? 


Warum Köln (trotz allem) eine tolle Stadt ist

Sonntag, 6. September 2015 um 21:01 Uhr; Kategorie Linking. Keine Kommentare.
Die Kölner Severinsbrücke

Die Kölner Severinsbrücke

Vor einem guten halben Jahr bin ich – der eine oder andere wird es mitbekommen haben – nach Köln gezogen. Die Stadt, die anscheinend vor allem eines kann: sich blamieren. Der Stadt gewordene Hamburger SV.1

Die letzten größeren Peinlichkeiten dürfte mittlerweile jeder mitbekommen haben. Deshalb nur so viel: Wir dürfen erst im Oktober unseren neuen OB wählen – und haben die Wahl zwischen dem SPD-Kandidaten, der sein Ratsmandat verlor, weil bei der Kommunalwahl der CDU- und der SPD-Stapel vertauscht wurden und der bisherigen Sozialdezernentin, die von quasi allen anderen Parteien aufgestellt wurde. Beide versprechen aber mehr oder minder, dass mit ihnen endlich Schluss ist mit dem Chaos.

Aber will Köln überhaupt ein Ende? Oder ist das Chaos nicht so Kölsch wie, nun ja, Kölsch? So in etwa argumentiert auf jeden Fall Wirtschaftswoche-Mann Bert Losse, und hat nicht ganz Unrecht:

Der Kölner ist herzlich, ein bisschen ungezogen und etwas zu laut; er ist niemals nachtragend, er ist das Augenzwinkern in Menschengestalt. […] Da können die die OB-Wahl meinetwegen auf Dezember 2017 schieben.

Also ich fühle mich hier jedenfalls pudelwohl.

(Auf den vermutlichen Kern des Problems, dessen Auswirkungen in Köln anscheinend regelmäßig besonders deutlich werden, weist Christoph Bieber hin: Wahlleiter üben diesen Job in Deutschland grundsätzlich nicht hauptberuflich aus.)


  1. Oder Galatasaray Istanbul. Wobei ein Ex-Kommilitone eine Verbindung namens „Podolski“ sieht zwischen den neuesten Peinlichkeiten in Köln und dem Großkreutz-Dabakel in der türkischen Hauptstadt. 


Zu Besuch in der Flora Köln

Montag, 24. August 2015 um 21:41 Uhr; Kategorie Linking. Keine Kommentare.

Ein halbes Jahr wohne ich mittlerweile in Köln. Im vergangenen Jahr habe ich dann auch mal mit dem Touri-Programm angefangen. Auf dem Programm unter anderem: Die Flora, der botanische Garten von Köln.

In der Flora

Definitiv einen Ausflug wert!


Two hours after the bomb explodes in Oslo, Adrian Pracon hears two sharp bangs, like a hammer striking metal. The noises come from the lawn down the hill, between the main white building and the jetty where the ferry docks.

Heute vor genau vier Jahren wurde in Oslo und Utøya in Norwegen einer der schlimmsten Terroranschläge Europas verübt. Auf der kleinen Insel Utøya tötete Anders Breivik 69 Menschen – vor allem Jugendliche. Sean Flynn hat für seine Reportage mit den Überlebenden und Angehörigen gesprochen. Ohne voyeuristisch zu werden, gibt er unglaublich genau und beklemmend wieder, wie die sich gefühlt haben.

The girl laughs and Adrian laughs, and then they laugh about their water-wrinkled fingers and the cabaret scheduled for tomorrow night that probably won’t happen, and they keep laughing, because there is nothing else to do until someone finally gets them off Utoeya.

„Is he coming? Is he? Oh God, I think he is.“ (Sean Flynn für GQ.com, Juli 2012)


Andere Seiten 2/2015

Donnerstag, 2. Juli 2015 um 21:31 Uhr; Kategorie Linking. Keine Kommentare.

Meine To-Read-Liste ist zwar immer noch ewig lang, aber in den vergangenen Monaten haben sich auch so genügend Artikel angesammelt, die ich gerne mit euch Teilen möchte.

Politik

Reihe 7 Platz 88“ (Tobias Haberl im SZ Magazin 19/2015): Was macht ein Staatsfeind und Rechtsextremer im Europaparlament? Tobias Haberl versucht das anhand von Udo Voigt, der dort für die NPD sitzt und den er ein ganzes Jahr begleitet hat, zu erklären. Und nähert sich dabei seinem Protagonisten mit dem nötigen Respekt. Aber ohne dabei einen Zweifel zu lassen, was von Voigt zu halten ist. (Auch im Europaparlament anzutreffen ist Bernd Pösselt. Und das, obwohl er nicht gewählt wurde. Christian Deutschländer hat Pösselt im Merkur sehr lesenswert porträtiert.)

Wirtschaft

This is the Story of the Hamburger“ (Benjamin Wallace für Grubstreet, 31. Mai): Alles, was ich schon immer über Hamburger und ihren Wandel vom unansehnlichen Fast Food zur angesehenen Haute Cuisine wissen wollte. Samt Saucen-Rezepten, die ich mal ausprobieren sollte. Und der Frage aller Fragen: „Wherein lies a burger’s burgerness?“

Gesellschaft

Oh Gott, ich bin schwul“ (Philip Hauner in der Neon 3/2014, online seit 13. April 2015): Philip Hauner ist schwul. Und hat in Bayern fünf Beichtstühle besucht und mit den Priestern seine Homosexualität ergründet. Und ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Schlechte („Es ist natürlich eine Sünde, jedes Mal“) wie gute („Letztlich hat Gott Sie so geschaffen, das dürfen Sie schon einmal ganz positiv sehen. Und er hat keinen Fehler gemacht, als er Sie in die Welt gesetzt und gerufen hat und ­ausgestattet hat mit der Fähigkeit zu lieben.“).

Sport

A League of His Own“ (Tariq Panja, Andrew Martin und Vernon Silver für Bloomber Business, 30. April): Eines der bestimmenden Themen der letzten Wochen war ja der Fifa-Skandal. Und schon bevor der losging erschien dieser Text, der lang und breit erzählt, was alles im Argen liegt. Denn eigentlich wusste man das ja schon vorher.

Kultur

Khamenei neben Elvis“ (Charlotte Wiedemann im Monde Diplomatique, 7. Mai): Im Islam sind Bilder Mohammeds verboten? Nicht, wenn man die Iraner fragt. Dort kommt bald eine neue Film-Trilogie über den Propheten mit einem Budget von 30 Millionen Euro heraus. Dafür gibt es zum Beispiel Auflagen, wie Khomeini und Khamenei dargestellt werden dürfen. Christine Wiedemann beschreibt eindrücklich die Macht von Bildern – sowohl im Guten wie auch im Schlechten.

Medien

The Eternal Return of Buzzfeed“ (Adrienne LaFrance and Robinson Meyer für The Atlantic, 15. April): History repeating: Vor Buzzfeed kamen MTV, USA Today und noch früher das Time Magazine. Sie alle revolutionierten den Journalismus ihrer Zet. Adrienne LaFrance und Robinson Meyer erzählen die US-amerikanische Mediengeschichte der letzten Jahrzehnte an vier jeweils neuartigen Medienmarken, die viel miteinander gemein haben.

Wissenschaft

The strange fate of a person falling into a black hole“ (Amanda Gefter für BBC, 25. Mai): Wie fühlt sich das an, in ein schwarzes Loch gesogen zu werden? Bislang gibt es niemanden, der das ausprobiert hat – und wenn, dann könnte er nicht erzählen, wie es war. Amanda Gefter versucht es trotzdem – mit dem Wissen, das die Physik heute hat. Das wichtigste und seltsamste: „The instant you entered the black hole, reality would split in two.“

Technik

How does a visually impaired computer programmer do programming? „(Quora): Äußerst selten lande ich mal auf der Frage-und-Antwort-Seite Quora. Aber als ich irgendwann einen Link zum Thema, wie man als sehbehinderter Mensch programmiert, gesehen hat, war ich begeistert. Nicht nur davon, dass (und wie) das geht, sondern auch davon, wie offen und ehrlich Betroffene und Kollegen sehbehinderter Programmierer von ihren Erfahrungen berichten.


Andere Seiten 1/2015

Donnerstag, 9. April 2015 um 22:09 Uhr; Kategorie Linking. 1 Kommentar.

Ich habe zwar noch eine hohe zweistellige Zahl an Artikeln auf meiner Leseliste. Aber bevor ich das hier noch weiter aufschiebe, schreibe ich hier schon einmal die (ganz subjektiv) besten Texte (und ein Video) aus den vergangenen Monaten auf. Und ja, mir ist bewusst, dass da ganz schön viele Texte aus der Zeit dabei sind.

Politik

Ja, wieder hat es John Oliver in die „Anderen Seiten“ geschafft. Sein Besuch bei Edward Snowden ist einfach das beste, was ich an politischem Journalismus in den vergangenen Monaten gefunden habe. Denn endlich macht jemand auch dem letzten klar, wieso es eben nicht egal ist, dass wir alle von der NSA ausspioniert werden.

Wirtschaft

„Die Kassierer“ (Zeit Online, 21. Februar): Sind wir nicht alle ein bisschen Mittelschicht? Oder behaupten es zumindest? Und zahlen wir nicht alle zu viele Steuern und bekommen dafür viel zu wenig? Dass da eine Fehleinschätzung vorliegt, zeigt Stefan Willeke in seinem langen Text. Schließlich profitiere gerade die Mittelschicht von Elterngeld, Ehegattensplitting und dergleichen.

„Ein Prost auf Kim Jong-Un“ (Zeit Magazin, 27. März): Ich mag ja Geschichten über Nordkorea. Meistens sind es Reisereportagen über ein Land, in das man sonst keine Einblicke bekommt. Noch einmal ganz andere Einblick bekommt man aber, wenn man dem Beginn eines großen Geschäfts mit Nordkorea verfolgt. Auch wenn am Ende … ach, lest selbst!

Kultur

„Auf dem Weg“ (Zeit Magazin, 19. Februar): „Das, was Art Garfunkel unbedingt zu Ende bringen will, ist ein irrsinniges und tolles Projekt: Seit 1998 durchquert er zu Fuß Europa“, schreibt Anna Kemper im Zeit-Magazin. Sie begleitet ihn auf einer seiner letzten Etappen – und erzählt in ihrer Reportage nicht nur die Geschichte eines Musikers, sondern auch die eines Menschen, der Dinge, die er einmal angefangen hat, um jeden Preis auch abschließen will. Vielleicht sollten wir alle in bisschen mehr wie Art Garfunkel sein.

Gesellschaft

„The death of Queen Elizabeth will be the most disruptive event in Britain in the last 70 years“ (Business Insider, 6. März): Man möchte nicht daran denken, aber Queen Elizabeth ist nicht mehr die Jüngste. In nicht einmal zwei Wochen wird sie 89 Jahre alt.1 Und beim Business Insider haben sie mal recherchiert, was sich dann alles in Großbritannien ändern wird. Die Nationalhymne ist dabei nur der Anfang.

„Bevor es Nacht wird“ (Faz.net, 3. Januar): Ebenfalls um den Tod älterer Frauen geht es in Yvonne Staats Reportage für die FAS. Kunstvoll verwebt sie darin die Geschichte zweier Seniorinnen, die zwar beide nicht mehr lange zu leben haben, deren Lebensabend aber nicht unterschiedlicher sein könnte: „Gerda sagt: ‚Ich ertrage das Leben nicht mehr. Es ist furchtbar.‘ Sie kann stundenlang so reden, und jedes Mal wird ihre Stimme dabei ganz hart. […] Elli sagt: ‚Ich habe von allem gehabt. Es ist jetzt gut.‘ Sie schließt die Augen und lächelt.“

Reise

„Der vermessene Reprua“ (taz.de, 16. Februar): „Wo kann man heute noch Entdecker sein?“ fragt Sebastian Erb in seinem Text. Und findet einen Ort: Den Reprua, einen kleinen Fluss in Abchasien (Je nachdem, wen man fragt, ein unabhängiges Land oder ein Teil Georgiens). Den angeblich kürzesten der Welt. Weil er aber keine anständige Quelle findet, fliegt Erb hin, um den Reprua zu vermessen. Eine herrlich absurde Reisegeschichte.

Sport

„Immer auf Asche“ (Zeit Online, 6. Januar): Mehr Fußballromantik geht wohl nicht als in Lucas Vogelsangs Geschichte über Menschen, die ihr halbes Leben (oder mehr) auf dem Ascheplatz verbracht haben. Über einen Torwart, der „schon die Mauer gestellt [hat], als die Mauer noch stand.“ Über einen Spieler, der „fast mal zu Borussia Mönchengladbach gegangen [wäre], nach ganz oben.“ Und über ganz viel Emotionen auf Bottrops Fußballplätzen.


  1. Dass ich auf den Tag genau 60 Jahre jünger bin als die Queen, könnte eine Rolle bei meiner Begeisterung für die europäischen Monarchien spielen. 


Andere Seiten: Die besten Artikel 2014

Montag, 16. Februar 2015 um 21:07 Uhr; Kategorie Linking. 1 Kommentar.

2014 ist mittlerweile seit ein paar Tagen vorbei. Genaugenommen seit eineinhalb Monaten. Und dieser Artikel sollte eigentlich auch schon vor einem Monat erscheinen. Aber Ihr1 wisst ja wie das ist. Neuer Job, neue Wohnung, Dienstreise, etc. pp.

Deshalb, ohne lange Umschweife: Die subjektiv besten Texte des Jahres 2014. (Archiv2: 2013 | 2012)

Politik

Die letzten Meter der Reise (Nils Minkmar bei faz.net, 29.11.): Der Umgang mit Flüchtlingen war eines der Themen des Jahres 2014. Noch-FAZ-Mann Nils Minkmar weist in seinem Text unter anderem darauf hin, dass die gesetzlichen Regelungen, so wie sie momentan sind, gerade dazu auffordern, auf gefährlichen Wegen nach Deutschland zu kommen. Und er hat einen Lösungsvorschlag: „Warum ist es nicht möglich, in einem Lager wie Zaatari eine Außenstelle europäischer Einwanderungsagenturen zu unterhalten, die prüft, wer und wie viele wohin genau könnten – und sie darauf auch noch mit einem Sprachkurs vorbereitet?“ Und: „Es würde der Kanzlerin und uns allen besser stehen, sich der Frage mit mindestens jenem Optimismus zuzuwenden, der die Migranten beflügelt.“ Ein toller, ein wichtiger Text!

Inside the 11-Story Building That’s Calling Itself the People’s Republic of Donetsk (Julia Ioffe bei The New Republic, 21.5.): Eine gute Reportage kann einen auch bei einem schwierigen Thema zum Lachen bringen. Julia Ioffes Text über die Bürokratie in der „Volksrepublik Donetsk“ schafft genau das. Ioffe schildert, wie es dort aussieht – kurze Zeit, nachdem die Separatisten ihre Unabhängigkeit von Kiew erklärt haben: „[…] we’d gotten to see the sights of the Donetsk People’s Republic, which says it wants to join Russia. By the time we got outside, though, I realized it doesn’t need to. It’s already Russia, through and through.“

Wirtschaft

Herr Hibbe macht zu (Henning Sußebach bei Zeit Online, 10.7.): Eine Geschichte, wie sie in fast jeder deutschen Kleinstadt spielen könnte: Das Kaufhaus macht zu. Das ist nicht nur ein Schlag für die Mitarbeiter, sondern für die ganze Stadt: „Im Kaufhaus Hibbe hatten Kinder ihr erstes Rolltreppenerlebnis, es gibt bis heute keine zweite Rolltreppe im Ort. Im Kaufhaus stritten Teenager und Eltern über die Frage ‚Cord oder Jeans?‘, bis irgendeine Verkäuferin mit der Autorität einer Verbraucherzentrale ihr Urteil fällte. Im Kaufhaus fielen Lebensentscheidungen: Pelikan oder Geha? Uhu oder Pritt? Puma oder adidas? Wurde ein Konfirmationsanzug gesucht, dann im Kaufhaus.“ Das alles ist nicht neu – aber Henning Sußebach schreibt es mit der gebotenen Ruhe und Würde, einem Schuss Nostalgie, aber eben auch mit einem Sinn für die neuen Realitäten im Einzelhandel – zu denen auch Sockenhändler im Internet gehören.

Kultur

Die Banalität der Böhsen (Arno Frank bei Spiegel Online, 22.6.): Böse Menschen kommen in die Hölle, die Hölle auf Erden ist bei den Böhsen Onkelz auf dem Konzert. So sieht es zumindest Arno Frank und beschreibt seine Erlebnisse bei einem der Comeback-Konzerte der Onkelz im Sommer am Hockenheimring. Man erfährt von der „Kirmeskapelle aus der Hölle“ (Limp Bizkit), „Deutsche Brüste“ und dem vermutlichen Schlüssel des Onkelz-Erfolges. Und vermeidet es dabei, die Onkelz und ihre Fans pauschal als rechtsradikal zu bezeichnen: „Gewiss ziehen die Onkelz neben anderen Unverstandenen auch Rechtsradikale an. Aber das tut die deutsche Nationalmannschaft auch.“

Medien

Journalismus unter Verdacht (Stefan Niggemeier bei faz.net, 2.11.): Jeder Fehler, den Journalisten machen, wird heute gnadenlos im Internet von jemandem verbessert, der es besser weiß. Das ist gut. Dass es meist Verschwörungstheorien gratis dazu gibt, ist eher unschön. Aber daran – und am Vertrauensverlust generell – sind die Medien selbst nicht unschuldig. Denn es fehlt ihnen an Transparenz. Und an der Fähigkeit zur Selbstkritik. Stattdessen: „Bei der ‚Tagesschau‘ haben sie eine einfache Antwort auf schwere Fragen: die Quote.“

Sport

Das beste journalistische Erzeugnis des Jahres zum Thema Sport war definitiv ein Video:

Gesellschaft

Heute ein fieser Möpp (Dirk Gieselmann im Dummy #45): Dirk Gieselmann, nach eigenen Angaben ein netter Typ, versucht, eine Woche lang ein Arschloch zu sein. Und das ist schwieriger als gedacht, denn: „Bösesein ist nichts für Anfänger.“ Der vielleicht lustigste Text des Jahres.


  1. Insbesondere die von euch, die schon früher meine Blogs gelesen haben 

  2. Beim Blick ins Archiv fällt mir auf, dass das Jahr 2014 nicht so gute Texte hervorgebracht hat wie die Vorjahre – oder ich sie einfach nicht gelesen habe. Also, wenn ihr noch welche kennt: Her mit den Links! 


Gefälschte Weine

Mittwoch, 11. Februar 2015 um 22:34 Uhr; Kategorie Linking. Keine Kommentare.

Ja, ich weiß: Es ist schon Mittwoch. Aber ich habe leider heute erst den Tatort „Château Mort“ (lässt sich noch bis Sonntagmorgen ansehen) gesehen.

Mein Highlight:

Denken Sie an die Hochzeit zu Kanaan. Wäre irgendjemand im Traum auf die Idee gekommen, Jesus Christus als Fälscher zu bezichtigen, als er Wasser in Wein verwandelte?  (Felix von Manteuffel als Hans Lichius, Minute 52)

Überhaupt habe ich mir den Tatort überhaupt noch angesehen, weil es um Weinfälschung geht. Und seit ich vor einigen Jahren mal las, wie das mit dem Weinfälschen funktioniert, bin ich von dem Thema fasziniert:

How would you fake wine, anyway? You could blend two vintages, say a bottle of ’81 Pétrus (average auction price: $1,194) and a bottle of ’83 Pétrus ($1,288), to make two bottles of ’82 Pétrus ($4,763 each). It would be the right wine and taste the right age; even if it didn’t taste exactly like ’82, it wouldn’t taste exactly like ’81 or ’83 either. Close enough.

(Weiter beim New York Magazine)


Mit Zahlen gegen die Angst vor dem Islam

Dienstag, 20. Januar 2015 um 20:56 Uhr; Kategorie Linking. Keine Kommentare.

Look, this article is not going to change the media’s business model. But what I hope it does is cause some to realize that not all terrorists are Muslims. In fact, they are actually a very small percent of those that are. Now, I’m not saying to ignore the dangers posed by Islamic radicals. I’m just saying look out for those refrigerators.

(Dean Obeidallah bei The Daily Beast)

(via)