Die beste aller Zeiten
Mittwoch, 7. Januar 2015 um 10:08 Uhr; Kategorie Thinking„A quick recap of the week: Everything is still fucked.“ Zumindest sinngemäß beginnt so gefühlt jede zweite Folge von „Last Week Tonight“, der vielleicht besten Comedy- und Nachrichtensendung, die es momentan gibt. Ebola, IS, Pegida: Das Jahr 2014 brachte jede Menge schlechte Nachrichten. Dazu kommt: Witze lassen sich eben am besten über das machen, was schlecht ist. Und kritisiert gehört.
Wie kommt also Ex-FAZ-Feuilletonchef und jetzt Europa-Kulturkorrespondent Nils Minkmar dazu, unter der Überschrift „Unser Glück“1 darüber zu schreiben, „dass das Jahr 2014 das beste aller Jahre war – und dass 2015 nicht schlechter wird?“ Ganz einfach: Weil es stimmt. Und weil es eigentlich offensichtlich ist. Vielleicht zu offensichtlich.
Älter, reicher, sicherer
In seinem Text liefert Minkmar schon einige Beispiele, woran festzumachen ist: Fast alle Krankheiten befinden sich auf dem Rückzug, die Rechte von Minderheiten haben sich fast überall auf der Welt (bei sicherlich noch bestehendem Verbesserungsbedarf, keine Frage) in einem Maße verbessert, der noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar gewesen wäre. Selbst die Kriminalität ist in fast allen Kategorien gesunken. Die Lebenserwartung ist weltweit gestiegen – selbst in den am wenigsten entwickelten Ländern der Erde werden die Leute heute älter als hierzulande vor 200 Jahren.
@NickKristof From: http://t.co/jPv8iQbMen No country has a lower life expectancy than the highest 200 years ago. pic.twitter.com/xpXKUroHCz
— Max Roser (@MaxCRoser) October 29, 2014
Noch mehr Beispiele, wieso wir uns eigentlich freuen sollten über die Zeit, in der wir leben, liefert unter anderem vox.com: Weniger Hunger auf der Welt, weniger Kinderarbeit, weniger Armut. Und vieles mehr. Auch an anderer Stelle in der FAS vom Wochenende wird man fündig. So findet sich im Politikteil die Information, dass es in Deutschland immer weniger Verkehrsunfälle und weniger Tote gibt.2
Uns geht es gut!
Hans Rosling, schwedischer Professor für internationale Gesundheit, den der Spiegel vor ein paar Monaten mal porträtierte, liefert ebenfalls Daten zum erfreulichen Zustand der Welt:
Best time ever for children is now! Never before did >95% live beyond their 5th birthday. https://t.co/UoZ1r36GGn
— Hans Rosling (@HansRosling) September 22, 2014
Die Liste könnte man noch ewig fortführen. So sind die Menschen in fast allen Ländern in den vergangenen Jahrzehnten intelligenter geworden (Flynn-Effekt), und dank Internet im Zweifelsfall auch besser informiert.3
Uns geht es also allen verfügbaren Daten zufolge ziemlich gut. Auf der ganzen Welt – und ganz besonders in Deutschland. Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde und wie kein zweites durch die diversen Eurokrisen der vergangenen Jahre gekommen.4
Wann war früher alles besser?
Uns geht es gut – und doch glauben nicht wenige, dass früher alles besser war. Wann dieses Früher gewesen sein soll? Keine Ahnung. In den 90ern? Also zur Zeit des Völkermordes in Ruanda und der Jugoslawienkriege? Den 80ern – als in weiten Teilen Osteuropas Demokratie noch ein Fremdwort war? Oder doch schon im 18. oder 19. Jahrhundert, als man fast überall auf der Welt noch den Launen seines Fürsten ausgeliefert war, aber zum Glück auch nicht zu alt wurde?5
Wenn es uns aber so gut geht, wieso sind wir so unzufrieden? Auch, weil die Medien es so vorleben. „Bad news sell“, wird Hans Roslings Ehefrau Anna im Spiegel zitiert. Und: „Man kann auf einem langen Zeitstrahl, der insgesamt positiv verläuft, lauter negative Ereignisse isolieren. So gehen Medien vor.“ Damit hat Anna Rosling nicht ganz Unrecht. Der Nachrichtenfaktor „Negativität“ ist in der Praxis oft einer der stärksten. Negative Berichte wirken fast automatisch seriöser und wichtiger als positive. Das führt dann dazu, dass etwas wie die World-Press-Foto-Ausstellung zu einem alljährlichen „Worst of“ der Krisen und Katastrophen der Welt wird. Dass die Ärzte mit der Zeile „Die Tagesschau ist nicht mein Fall – nichts als Mord und Massensterben überall“ auch heute noch Recht behalten. Und dass wir uns fühlen, als lebten wir in der Hölle.
Die Lösung? Gibt es nicht. Aber man sollte sich dann doch manchmal einfach bewusst machen, welches Glück wir haben, im Heute zu leben. Und vermutlich auch in der Zukunft.
Der Artikel ist leider noch nicht online. ↩
Auch der Text ist (noch?) nicht Online. Die Info findet sich aber auch an anderer Stelle. ↩
Darauf werde ich an anderer Stelle demnächst nochmal eingehen. ↩
Dass das auch auf Kosten der südeuropäischen Krisenländer passierte, ist ein anderes Thema. ↩
Mehr Jahre, in denen man nicht hätte leben wollen, beim Guardian und beim Atlantic. ↩